So viele Lügen und Heimlichkeiten, soviel Nervenkitzel und Stress, aber auch so viel Wut und Ohnmacht, so viele bittere Tränen und zerbrochene Beziehungen sind unrühmliche Resultate des Fremdgehens. Wird das Wort „Fremdgehen“ jedoch wortwörtlich genommen, kommen ganz bemerkenswerte Einsichten dabei heraus.
Das Fremdgehen ist nicht nur eines der beliebtesten Themen in der Regenbogenpresse, sondern erregt auch im Dorf- oder Stadtgeschehen sehr viel Aufsehen. Die Rede ist dann immer von allseits bekannten Menschen, die trotz einer engen Partner-Bindung im Bett eines „Fremden“ gelandet sind. Für die einen bedeuten solche Geschichten eine willkommene Aufmischung des monotonen Alltags, bei anderen macht sich schnell ein wenig Schadenfreude bemerkbar. Aber kaum jemand fragt sich, ob sich der oder die Fremdgegangene wohl zu eng angebunden, kontrolliert, unfrei fühlte. Um Missverständnisse gleich vornweg auszuräumen, geht es hier absolut nicht darum, die sexuelle Form des Fremdgehens zu entschuldigen, sondern den Blickwinkel zu diesem Thema ein wenig zu erweitern. Fremdgehen bedeutet ja im Grunde genommen nichts anderes, als dass jemand fremd geht, in die Fremde geht. So gesehen geht auch jemand fremd, der sich immer wieder, ob nun neugierig oder wohlmeinend, bei anderen Menschen einmischt und nicht bei sich bleibt. Frauen sind für diese Art des Fremdgehens ganz besonders prädestiniert, weil sie mit ihren Gedanken oft anderswo sind: beim Partner, der nach der Arbeit nicht gleich nach Hause kommt, bei den Kindern, die Prüfungen zu bestehen haben, bei der Grossmutter, die ihr Geld grosszügig unter die Leute bringt, bei der Nachbarin, die schon wieder zu viel Wasser fürs Spritzen ihres Rasens verbraucht...nur nicht bei sich selbst! Körperlich sind sie wohl da, nicht aber mit ihrer Aufmerksamkeit. Sie gehen gedanklich fremd. Sie entfernen sich von sich selbst und jammern im selben Atemzug, zu kurz zu kommen. Wer das Gefühl des Zukurzkommens nur zu gut kennt, darf dies als Aufforderung anschauen, mehr bei sich selbst zu verweilen. Es gibt noch eine weitere Form des Fremdgehens, die kaum als solche erkannt wird. Menschen, die immer allen alles Recht machen wollen und ihre Wünsche und Bedürfnisse stets hinten anstellen, verlieren sich selbst. Und so erscheinen sie mit der Zeit den Menschen, die ihnen nahe stehen, fremd. Denn sie haben einen grossen Teil von dem, was ihre Persönlichkeit ausgemacht hat, aus einem falschen Glauben heraus, geopfert. Deshalb sollten wir uns immer fragen: Ist es für mich richtig? Habe ich dabei ein gutes Gefühl? Macht es mir Spass und Freude? Möchte ich es wirklich? Sollten die Antworten etwa so ausfallen – „Für mich ist es nicht richtig, aber der andere will es so. Ich habe gar kein gutes Gefühl, aber ich muss es machen, weil andere es von mir erwarten. Ich habe überhaupt keine Lust, lasse mir aber nichts anmerken, sonst sind sie von mir enttäuscht. Alles in mir sträubt sich, aber ich mache es trotzdem“ – dann bin ich auf dem besten Weg, mich mir zu entfremden.